Offener
Brief von NotRuf113 an CDU und Bündnis90/Die Grünen
Sehr
geehrte Damen und Herren,
Im
Januar dieses Jahres haben das Land Hessen und das UKGM eine
"gemeinsame Vereinbarung" zur dauernden Zusammenarbeit
abgeschlossen. Weder das Land noch Rhön haben etwas davon
realisiert. Nun will Herr Münch, der Hauptaktionär und Vorsitzende
des Aufsichtsrats der Rhön-Klinikum AG, sogar 43 von über 50
Rhön-Krankenhäusern an den Fresenius-Konzern verkaufen. Falls das
kommt, ist das UKGM nur noch eines von zehn Krankenhäusern an fünf
Standorten. Mit mehr als der Hälfte des Umsatzes wäre es in dem
verkleinerten Rhön-Konzern das größte, aber auch das
renditeschwächste. Es hat nämlich ein "strukturelles Defizit"
und befindet sich deshalb in einem "Restrukturierungsprozess".
Da die anderen drei Standorte dieses Defizit nicht ausgleichen
können, müsste die "Restrukturierung" des UKGM mit dem
Ziel der Renditesteigerung unbedingt vorangetrieben werden.
Nach
welchem Konzept Herr Münch das betreiben will, hat er in einem
öffentlichen Interview im November offen dargestellt. Diagnosen sind
für ihn "Fehleranalysen". "Auch wenn der Vergleich
vielen nicht gefallen wird - nehmen Sie mal ein Auto". Wir
müssen "automatisieren, wo es geht". Denn "Das
Gesundheitswesen in Deutschland ist gefährdet", "die
Politik hat nicht das große Ganze im Blick". Und "mich
nervt dieses Klein-Klein". Aber "jetzt kann ich endlich
meine großen Pläne vorantreiben". Dabei sind die "großen
Pläne" folgende: "Hin zu mehr privatem Kapital im
Gesundheitswesen," und "eine Zusatzversicherung, die den
Kassenpatienten eine bessere Behandlung garantiert", also die
gewollte Zwei-Klassen-Medizin. Und das mit großer Entschlossenheit:
"Freiwillig ziehe ich mich nicht zurück", "ein paar
Opponenten, die … in der Minderheit sind, interessieren mich
nicht", "ich lasse mich nicht von meinem Weg abbringen".
Herr
Münch ist überheblich gegenüber der Politik. Das Abgleichen
zwischen Allgemeininteresse und Einzelinteressen ist wertvolle und
keine einfache Arbeit. Und er ist blind gegenüber dem, was Menschen
im Krankenhaus an Menschen tun. Das ist Schwerstarbeit angesichts von
Krankheit, Leiden, Angst und Tod. Der Mensch ist kein Auto. Münchs
Konzept ist ein Konzept der Missachtung. Das gnadenlose Verfälschen
eines Krankenhauses zu einer Art von Fabrik würde weitergehen -
gegen die Berufsethik der Mitarbeiter, zu deren Lasten und
notwendigerweise zuletzt zu Lasten der Patienten. Kann die neue
Hessische Landesregierung weiter zulassen, dass ein
Universitätskrankenhaus, das Standards für andere setzt, nach einem
solchen Konzept geführt wird? Nach dieser Selbstdarstellung von
Herrn Münch kann niemand mehr sagen, er habe es nicht gewusst, auch
die neue hessische Landesregierung nicht.
Pressemitteilung
des deutschen Hochschulverbandes vom 16.07.2013
Privatisierung
der Hochschulmedizin gescheitert - Hochschulmedizin muss Teil der
öffentlichen Daseinsfürsorge sein und bleiben
1.
Das Land Hessen hat das Universitätsklinikum Gießen und Marburg im
Jahre 2006 als erstes Universitätsklinikum in Deutschland
privatisiert. Das Rhön-Klinikum als Käufer beabsichtigte, das
Universitätsklinikum als "Flaggschiff" im Konzernverbund
aufzustellen und durch die Behandlung von schwerstkranken Patienten
im Universitätsklinikum Synergieeffekte für den gesamten Konzern zu
erzielen. Hessen wollte sich durch den Verkauf seiner Verpflichtung
zu Investitionen in den Jahrzehnte vernachlässigten Gebäudebestand
(insbesondere in Gießen) entledigen. So verpflichtete sich der
Rhön-Konzern zu umfangreichen Investitionen an den Standorten
Marburg und Gießen und zum Betrieb einer Partikeltherapieanlage. Die
Partikeltherapieanlage war ein wesentlicher Grund für die Erteilung
des Landeszuschlags an den Rhön-Konzern.
2.
Aus der heutigen Perspektive ist klar erkennbar, dass die
Privatisierung des Universitätsklinikums an beiden
Universitätsstandorten ebenso wie der Betrieb der
Partikeltherapieanlage gescheitert sind. Die vom Rhön-Klinikum
getätigten umfangreichen Investitionen sollen vom
Universitätsklinikum Gießen und Marburg aus dem laufenden Haushalt
selbst refinanziert werden. Hierzu ist das Universitätsklinikum, als
einziges Haus der Supramaximalversorgung in Mittelhessen, nicht in
der Lage. Es ist bezeichnend, dass die Geschäftsführung des
Rhön-Klinikums nunmehr selbst vom UKGM als "Mühlstein" am
Hals des Gesamtkonzerns spricht. Auch die im Januar 2013 geschlossene
Vereinbarung zwischen dem Land Hessen und der Rhön-Klinikum AG zur
Lösung der jahrelangen Auseinandersetzung um das UKGM lässt sich
nach Auffassung der Arbeitsgemeinschaft Hochschulmedizin bestenfalls
als Notmaßnahme, die bis heute in wesentlichen Punkten immer noch
nicht geklärt ist, charakterisieren. Ein langfristiger Lösungsansatz
ist in dieser Maßnahme nicht zu sehen.
3.
Die Erfahrungen am Klinikum Gießen/Marburg haben gezeigt, dass die
von dem privaten Unternehmen geforderten Renditeerwartungen mit den
Aufgabenfeldern eines Universitätsklinikums nicht in Einklang zu
bringen sind. Ein Universitätsklinikum besteht nicht nur aus der
Behandlung schwersterkrankter Patienten, sondern hat dienende
Aufgaben in Forschung und Lehre. Die Unterstützung der Medizinischen
Fakultäten bei der Ausbildung von Studierenden ist ebenso Aufgabe
der Universitätsklinika wie die maßgeblich an ihnen stattfindende
Weiterbildung junger Ärztinnen und Ärzte. Diese Aufgaben stehen in
einem natürlichen Spannungsverhältnis zur Erwirtschaftung einer
möglichst hohen Rendite. Die Universitätsmedizin sollte daher nach
Auffassung der Arbeitsgemeinschaft Hochschulmedizin grundsätzlich
als Teil der staatlichen Daseinsfürsorge öffentlich-rechtlich
organisiert sein. In welchem öffentlichen Modell Universitätsklinika
organisiert werden, ist nach Maßgabe der jeweiligen lokalen
Bedingungen zu klären.
NotRuf113
zur Vereinbarung zwischen der hessischen Landesregierung und der Rhön
AG vom 29.01.2013
Die
Rhön AG und das Land Hessen sind nach langen Verhandlungen vor die
Presse getreten. Laut Volker Bouffier ist es gelungen, "in engem
Schulterschluss aller Beteiligter eine gute und verlässliche
Grundlage für die weitere Arbeit und damit die Zukunftssicherung des
Universitätsklinikums Gießen und Marburg und seiner Mitarbeiter zu
erreichen." Verhandelt wurde über die Partikeltherapie in
Marburg, die Stellensituation (Stellenmoratorium), die Rückkehrer
zum Land (Personalgestellung), Investitionszuschüsse durch das Land
Hessen und Mitwirkungs- und Kontrollrechte durch die Landesregierung.
Natürlich können wir an dieser Stelle nicht alle Punkte der
Vereinbarung im Detail diskutieren, wir übersetzen aber die
wichtigsten Punkte für Sie:
1. Partikelzentrum: "Rhön
bestätigt, dass das Unternehmen grundsätzlich die Absicht verfolgt,
das Partikelzentrum Marburg in Betrieb zu nehmen und langfristig
selbst oder durch einen Dritten zu betreiben." ..."Rhön
macht sich das Ziel zu eigen, spätestens am 31.12.2013 mit der
ersten Patientenbehandlung zu beginnen." (Punkt 1.2. der
Vereinbarung)
Eine Absicht verfolgen und sich ein Ziel zu eigen
machen, heißt: Wir garantieren gar nichts. Die Rhön AG hat die
Zusage, bis zum 31.12.2012 Patienten im Partikelzentrum zu behandeln,
nicht eingehalten. Das Land hatte erklärt, man werde vom Unternehmen
für Nichtvertragserfüllung 107 Mio. € fordern - tatsächlich will
das Land jetzt nur ca. 3,7 Mio. bis Ende 2013 haben. Parallel zahlt
aber das Land 3 Mio. jährlich an das UKGM, weil Marburg und Gießen
so eng beieinander liegen und dies angeblich ein Wettbewerbsnachteil
sein soll (Punkt 6.2. Veränderte Mitwirkungspflicht des Landes
Hessen). Rhön lernt daraus, dass es für einen Vertragsbruch nicht
"bestraft" wird. Warum sollte das Unternehmen zukünftig
sein Versprechen halten? Die Partikeltherapieanlage hat die Rhön AG
bereits an Siemens verkauft , gehört also nicht mehr der Rhön AG
und soll abgebaut werden. Fast alle Spezialisten, die man zum
Betreiben der Anlage benötigt, haben Marburg verlassen. Experten
gehen davon aus, dass daher ca. 1,5 Jahre vergehen werden, bis
Patienten behandelt werden können. Voraussetzung dafür wäre
allerdings, dass die Rhön AG die Anlage von Siemens zurückkaufen
kann.
2. Stellenmoratorium: "Die Universitätsklinikum Gießen
und Marburg GmbH strebt ein Stellenmoratorium für den Zeitraum vom
01.01.2013 bis zum 31.12.2014 an und erklärt sich bereit, Gespräche
über dieses Thema aufzunehmen." … "Dabei wird davon
ausgegangen, dass das Gutachten der Unternehmensberatung McKinsey
ergebnisoffen Berücksichtigung findet." (Punkt 2.2. der
Vereinbarung)
Raten Sie mal, was "strebt an" und
"ergebnisoffen" heißt. Tatsächlich wird ein Stopp
jeglichen Personalabbaus von den Betriebsräten und der
Öffentlichkeit (53000 Unterschriften) längst gefordert. Anfang März
2012 forderte auch die Landesregierung das Stellenmoratorium. Am 05.
Juli verkündete der Ministerpräsident dann, eine Reduzierung von
240 Stellen sei vertretbar. Betriebsräte schätzen, dass weitere
Stellen schleichend abgebaut wurden. Rechnet man die Rückkehrer zum
Land Hessen hinzu, hat das UKGM die für 2013 angekündigte
Streichung von 250 Stellen weit übertroffen. Die Betriebsräte
wurden in die aktuellen Verhandlungen nicht einbezogen und es ist
keine Rede von Personalmindeststandards. Nach den massiven Protesten
Anfang 2013 hatte das Management geleugnet, Stellen abbauen zu wollen
- bis die Frankfurter Rundschau interne Papiere veröffentlichte, die
genau diese Pläne belegten. Wann wird uns die Rhön AG diesmal über
ihr wirkliches Vorhaben aufklären?
3. Personalgestellung: "Die
Universitätskliniken Gießen und Marburg GmbH erklärt sich bereit,
auch den Arbeitnehmern, die zum 31.12.2012 ihr Rückkehrrecht wirksam
ausgeübt haben, jedoch noch nicht in den Landesdienst zurück
genommen worden sind, freiwillig und ohne Anerkennung einer
Rechtspflicht die tarifvertragliche Ergebnisbeteiligung zu zahlen."
(Punkt 3.4. der Vereinbarung)
...die den Mitarbeitern ohnehin
tarifvertraglich zusteht.
4. Dringende zukünftige Investitionen
und deren Finanzierung: "Das Land Hessen beabsichtigt, die
Einrichtungen der Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH in
die Investitionsförderung des Landes Hessen unter Berücksichtigung
der herkömmlichen Fördermittelgrundsätze aufzunehmen." (Punkt
4.1.)
Dass die Rhön AG auf öffentliche Fördermittel verzichtet,
war neben der Zusage von Investitionen 2006 ausschlaggebend für den
Verkauf des UKGM. Das Land Hessen wollte seinen Haushalt dadurch
dauerhaft entlasten und sah in der Privatisierung die einzige
Möglichkeit. Die Rhön AG musste daher nur etwa 15 % des geschätzten
Verkehrswertes für die Kliniken zahlen. Nach der aktuellen
Vereinbarung soll die Rhön AG jährlich bis zu 13 Mio. € vom Land
erhalten.
5. Veränderte Mitwirkungsrechte des Landes Hessen:
"Rhön erklärt sich bereit, dem Land Hessen auf der Basis eines
konsensorientierten Dialogs veränderte Mitwirkungsrechte in der
Führung des Universitätsklinikum Gießen und Marburg einzuräumen."
(Punkt 5.1.)
Das Land hat bisher die Möglichkeiten zur
Einflussnahme nicht genutzt. Jetzt kann das Land zwei von 16 Sitzen
im Aufsichtsrat erhalten und 5 von 10 Mitgliedern in einem Beirat mit
nur beratender Funktion der Geschäftsführung stellen. Weiter kann
die Landeregierung einen Ombudsmann benennen, der in den
entscheidenden Gremien kein Stimmrecht hat und keine Anträge stellen
darf. Auch sind die genauen Aufgaben des Ombudsmannes unklar. An den
Besitzverhältnissen ändert sich übrigens nichts: Land 5 %, Rhön
AG 95 %.
Bemerkenswert ist, dass unter Punkt 7.1. festgehalten
wird, dass die Gewinnerwartungen für ein Uniklinikum sich nicht an
den wirtschaftlichen Verhältnissen allgemeiner Krankenhäuser
orientieren können. Im nächsten Schritt müssen die Vereinbarungen
noch in Arbeitsgruppen ausgearbeitet werden. Hüter der Vereinbarung
sollen übrigens die bereits verschollen geglaubten Mediatoren Dr.
Bohl (CDU) und Dr. Gerhard (FDP) sein.
Die
Vereinbarung enthält ausschließlich unverbindliche
Absichtserklärungen. Die Forderungen der Öffentlichkeit, der
Betriebsräte und der Klinikdirektoren werden nur zum Schein bedient.
Die Erfüllung der Versprechungen sind überwiegend aufs Jahresende
nach der Landtagswahl terminiert. Es handelt sich für die CDU um ein
wahltaktisches Manöver, die Rhön AG will endlich aus den
Negativschlagzeilen und erhält entgegen aller vollmundigen
Versprechungen öffentliche Gelder. Die Pressemitteilung des
Ministerpräsidenten und der Wissenschaftsministerin lesen Sie hier.
Die
unglaubliche Rettung der Erfolgsgeschichte des UKGM durch das
geheimnisvolle Konsensmodell – ein Märchen aus Mittelhessen
45000
Unterschriften gegen Stellenabbau, Verunsicherung der Patienten,
Unzufriedenheit der Mitarbeiter, Millionendefizite und das Scheitern
des Partikelzentrums – man könnte meinen, dass der Leuchtturm UKGM
schwankt. Doch laut UKGM-Geschäftsführung geht die
Erfolgsgeschichte weiter, denn die Rettung des UKGM hat einen Namen:
Konsensmodell. Sie wissen nicht, was das ist? Dann sind Sie ebenso
ratlos wie wir, der Betriebsrat und die Besucher des
gesundheitspolitischen Gebetes am 22.10.12 in der Marburger
Elisabethkirche. Hier sollten die Ergebnisse der „Studie“ der
Unternehmensberatung McKinsey zur Lage des UKGM erläutert und
diskutiert werden. Das Problem: Der McKinsey-Vertreter sagte sein
Kommen kurzfristig ab und das Mitglied der UKGM Geschäftsführung
Dr. Gunther Weiß äußerte sich nur unkonkret und phrasenhaft. Die
Betriebsratsvorsitzende Bettina Böttcher brachte es auf den Punkt:
Bisher wurden von der UKGM-Geschäftsführung weder konkrete Daten
vorgelegt, noch wurde ausformuliert, was genau das Konsensmodell
bringen soll.
Was
bezweckt also die UKGM Geschäftsführung damit, wenn sie ein Modell
zur Lösung empfiehlt, das es gar nicht gibt? Zum einen will die Rhön
AG Subventionen vom Land, nachdem klar wurde, dass ein Uniklinikum
nicht so viel Profit bringt, wie erhofft. Zum anderen will die
Geschäftsführung suggerieren, sie werde an den besehenden
Missständen etwas ändern, sie will vor allem positive Schlagzeilen.
Das Konsensmodell ist der Versuch auf der Grundlage
pseudowissenschaftlicher Empfehlungen das Managementversagen zu
verschleiern und die Tatsache, dass ein Universitätsklinikum nicht
profitorientiert betrieben werden kann. Konsensmodell à la Rhön
heißt aber auch: Die anderen sollen es richten. Treffenderweise
unterstrich Herr Dr. Weiß am letzten Montag die Verantwortung der
Mitarbeiter, das Image des UKGM zu verbessern. Das haben die
Beschäftigten wirklich nicht verdient – erst wird auf ihre Kosten
Profit gemacht und jetzt sollen sie auch noch für die negativen
Auswirkungen die Verantwortung übernehmen. Allerdings konnte man an
den Reaktionen der Zuhörer in der Elisabethkirche deutlich sehen und
hören: Mitarbeiter und informierte Bürger fallen darauf nicht
herein.
Pressemitteilung
von Notruf 113 zu den Reaktionen auf den Zwischenbericht der
Unternehmensberatungsfirma McKinsey
Aufsichtsrat und
Gesellschafter des UKGM haben über einen von der
Unternehmensberatungsfirma McKinsey vorgelegten Bericht beraten. Es
ist nur ein Zwischenbericht und sein Inhalt lässt sich nur aus den
Pressemitteilungen von Herrn Menger, dem Vorsitzenden der
Geschäftsführung des UKGM und Frau Kühne-Hörmann, der zuständigen
Ministerin, erschließen. Notruf 113 hält ihn aber für eine gute
Gelegenheit, die spannungsvolle Situation des Klinikums durchsichtig
zu machen. Dazu muss man nur die Manager- und die Politiker-Sprache
in einfaches Deutsch zurückübersetzen.
Als erste Bedingung für
die wirtschaftliche Gesundung des UKGM nennt Herr Menger "weiteres
Wachstum der stationären und ambulanten Leistungen". Mit
"Wachstum" ist gemeint die zahlenmäßige Vermehrung
abrechenbarer Leistungen. "Weiteres" Wachstum heißt, dass
auch bisher die Zahl der abrechenbaren Leistungen gezielt vermehrt
worden ist. Allerdings ist der medizinische Nutzen fraglich, wenn die
Vermehrung abrechenbarer Leistungen die Folge von Zielvereinbarungen
mit den leitenden Ärzten wäre, anstatt auf den tatsächlichen
Behandlungsbedarf zurück zu gehen. Und schließlich sollen auch die
ambulanten Leistungen vermehrt werden, also die, die normalerweise
von niedergelassenen Ärzten erbracht werden. Tendenziell bedeutet
das, dass u.a. durch konzerneigene Medizinische Versorgungszentren
und Kooperationsverträge mit niedergelassenen Ärzten die
Qualitätskontrolle durch die einweisenden Ärzte umgangen wird.
Wenn
Herr Menger formuliert "Steigerung der Personalproduktivität
durch verbesserte klinische Prozesse", dann ist mit "verbesserte
klinische Prozesse" einfach die bessere Arbeitsorganisation
gemeint. Sie soll aber die "Personalproduktivität"
steigern, also den Erlös pro Mitarbeiter. Das ist etwas anderes als
Verbesserung der Patientenversorgung und klingt eher nach
Arbeitsverdichtung. Was Herr Menger mit "Senkung der Kosten für
Drittleistungen" meint, sind vermutlich die Kosten der
sogenannten Serviceleistungen, also Küche, Reinigung, Transport. Die
dafür übliche Kostensenkung besteht in Ausgliederung der
Mitarbeiter in Servicegesellschaften mit niedrigeren Löhnen.
Als
Prämisse eines Zukunftsprogramms formuliert Herr Menger
"Arbeitsplatzsicherheit soll gewährleistet werden. Ziel ist und
bleibt es, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten". Er
wird kein Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen zugesagt,
sondern nur das Ziel benannt und die Realisierung also von
ungenannten Bedingungen abhängig gemacht. Die befristeten Stellen
bleiben überhaupt unerwähnt. Die unauffällige Entlassung von
Mitarbeitern, deren Stellen befristet sind, dürfte also
weitergehen.
Die "Erfolgsgeschichte des UKGM" könne
nach Herrn Menger fortgeschrieben werden, wenn die genannten
Bedingungen erfüllt würden. Das heißt, diese Bedingungen sind
derzeit nicht erfüllt und das UKGM schreibt im Moment keine
Erfolgsgeschichte. Es besteht nämlich eine "strukturelle
Deckungslücke" von mehr als 20 Millionen Euro. "Strukturell"
heißt: Ohne weitere strukturelle Maßnahmen ist jedes Jahr mit einem
Defizit in dieser Höhe zu rechnen. Diese Summe entspricht übrigens
in etwa den 30 Millionen Euro, die der Marburger Klinikumsvorstand im
Jahre 2005 für den Fall der Privatisierung als jährliche Belastung
durch Kapitalverzinsung und Mehrwertsteuer prognostiziert hat.
Darüber hinaus bestehe ein Investitionsbedarf von 200 Millionen Euro
bis 2020. Die Offenlegung dieses wirtschaftlichen Misserfolgs ist als
Hinweis an das Land zu verstehen, die Investitionsbeihilfen zu
gewähren, auf die Rhön beim Kauf des Klinikums verzichtet hat, die
aber für das Land den Ausschlag gegeben haben, die Klinika an die
Rhön AG zu verkaufen.
Frau Kühne-Hörmann sagt, das McKinsey
Zwischenergebnis sei "ein erster Schritt zur Verbesserung der
Transparenz der Daten zur wirtschaftlichen Lage des
Universitätsklinikums Gießen und Marburg". Mit anderen Worten:
Selbst das Land als Anteilseigner hat derzeit keinen vollständigen
Einblick! Als weiteres "offenes Thema" nennt sie die
Partikeltherapie. Das ist als Hinweis darauf zu verstehen, dass Rhön
dem Land rund 100 Millionen Euro schuldet, wenn es beim Aus für die
Marburger Anlage bleibt.
Fazit:
Trotz der erfolgten Investitionen ist das UKGM ökonomisch ein
Verlustbringer. Wenn die Privatisierung des UKGM eine
Erfolgsgeschichte wäre, bräuchte ein privates Unternehmen keine
Zuschüsse des Landes. Die Bezuschussung des UKGM durch das Land
würde im Umkehrschluss bedeuten, dass sich Universitätskliniken
nicht gewinnbringend betreiben lassen. Rhön als kluger Kaufmann
würde einen solchen Betrieb konsequenterweise ans Land Hessen
zurückgeben. Herr Menger lebt daher gefährlich, wenn er suggeriert,
dass das privatisierte UKGM schuldlos in eine finanzielle Schieflage
geraten ist und Arbeitsplätze nur mit Hilfe von Landeszuschüssen in
Millionenhöhe zu retten sind. Wenn ihm dieses taktische Manöver mit
der so genannten "Erfolgsgeschichte UKGM" nicht gelingt,
kann er der Neunzehnte werden, der beim Aufsichtsratsvorsitzenden
Münch in Ungnade fällt. Auch die Landesregierung lebt gefährlich,
denn sie trägt die Verantwortung für die Gesundheitsversorgung
ihrer Bürger und im kommenden Jahr wird gewählt. Im Falle einer
Rücküberführung ans Land würde sie allerdings selbst bei einem
jährlichen Zuschuss von 20 Millionen Euro gewinnen: Sie hätte
wieder die Gestaltungsmacht für die gesundheitspolitische
Entwicklung Mittelhessens, würde Arbeitsplätze sichern und rund 100
Millionen Euro als Entschädigung für das fehlgegangene
Partikeltherapiezentrum erhalten.
Presseerklärung
von Notruf 113 vom 28.04. zur geplanten Übernahme der Rhön AG durch
Fresenius:
In
Übereinstimmung mit den Klinikdirektoren von Gießen und Marburg,
den Leitungen der Universitäten, dem Marburger Oberbürgermeister
und dem Stadtparlament sowie der Landtagsfraktion der SPD betont
NotRuf113, dass die Privatisierung der Uniklinika gescheitert ist.
Die geplante Übernahme der Rhön AG durch Fresenius ändert an der
beklagenswerten Situation nichts. Krankenversorgung, Forschung und
Lehre werden nach wie vor für kommerzielle Interessen missbraucht.
Der börsennotierte Konzern Fresenius wird die Übernahme durch einen
Kredit und eine Anleihe finanzieren. Bereits im zweiten vollem Jahr
soll sich die Transaktion positiv auf den Gewinn pro Aktie auswirken.
Klar ist, dass die Refinanzierung von den Mitarbeitern erwirtschaftet
werden muss. Die Mittel werden nicht für die Patientenbetreuung zur
Verfügung stehen. Zahlen werden wir alle durch unsere Steuern und
Versicherungsbeiträge. Wir fordern daher weiterhin die Rücknahme
des Uniklinikums durch das Land.
Pressemitteilung
von Notruf113 vom 27.02.2012 zum Stellenabbau am UKGM
Notruf
113 hat in den vergangenen Jahren immer wieder auf Missstände in
Pflege und ärztlicher Behandlung in den Unikliniken in Marburg und
Gießen hingewiesen. Dabei haben wir stets klargestellt, dass dies
nicht an schlechter Leistung individueller Mitarbeitender liegt,
sondern an einer zu stark reduzierten Personaldecke. Zahlreich
beklagten sich Pflegekräfte in Gesprächen über Personalmangel und
es liegen uns ebenso zahlreiche Überlastungsanzeigen aus dem letzten
Jahr in Kopie vor, in denen vor einer gefährlichen Pflege gesprochen
wird. Die Mitarbeiter sehen dies trotz mehrfacher Anzeige keine
Verbesserung. Obwohl diese Missstände bekannt sind, plant die Rhön
AG einen weiteren Stellenabbau von 500 Stellen in den nächsten zwei
Jahren. Obwohl genaue Zahlen zu den erwirtschafteten Erträgen am
UKGM noch nicht veröffentlicht sind, spricht die Geschäftsführung
von wirtschaftlich notwendigen Maßnahmen. Angesichts einer
Gewinnsteigerung im Rhön-Konzern von 11% verglichen mit 2010
erscheint eine finanzielle Notsituation am UKGM unwahrscheinlich, mit
der unpopuläre Sparmaßnahmen und eine weitere Verschlechterung der
Patientenversorgung zu rechtfertigen wären. Die Klagen unzufriedener
Patienten und die Überlastung der Beschäftigten werden als
Einzelfälle hingestellt, bzw. als Kollateralschäden abgetan. der
Verkauf des UKGM wurde 2006 damit begründet, dass nur die Rhön AG
mit den damals schon absehbaren Veränderungen im
Krankenhausfinanzierungssystem umgehen könne. Nachdem die Rhön AG
das Versprechen einer "Spitzenmedizin für jedermann" nicht
einhalten konnte, zeigt sie nun, dass sie entweder nicht gut
wirtschaften kann oder dass eine Aktiengesellschaft Gewinne bis über
die Grenzen des Vertretbaren maximieren muss. 11 % Gewinnsteigerung,
wachsende Fallzahlen und ein geplanter Personalabbau von über 6 %
lassen eher letzteren Schluss zu: Gewinn wird auf Kosten der
Patientenversorgung und der Belegschaft gemacht unter Ausnutzung des
Solidarsystems der gesetzlichen Krankenversicherung. Patienten und
Mitarbeiter haben kaum eine Wahl, da zumindest im Raum
Marburg-Biedenkopf ein Monopol in der Maximalversorgung schwerkranker
Patienten entstanden ist. Die Gewerkschaften verhalten sich
zögerlich, der Betriebsrat kämpft auf verlorenem Posten. Heute
meldet sich die Politik zu Wort. Dies ist auch nötig, da eine
freiwillige Korrektur nach all den Jahren nicht mehr zu erwarten ist.
Jetzt muss die Politik Rahmenbedingungen und Mindeststandards für
die Personalausstattung in Krankenhäusern schaffen, um
Krankenhausangestellte und Patienten zu schützen!
Pressemitteilung
von Notruf113 vom 08.01.2012 zu den Verbindungen zwischen Rhön AG
und JBR Healthcare Group AG:
Da
gibt es eine Aktiengesellschaft, die Patienten unentgeltlich berät,
ohne sich einen Gewinn zu erhoffen (ist Gewinnmaximierung nicht der
vorrangige Zweck einer Aktiengesellschaft?) Fast alle beratenden
Experten arbeiten in einer Führungsposition für eine andere
Aktiengesellschaft, die ihren Aktionären steigende Gewinne
verspricht. Diese Aktiengesellschaft betreibt zufälligerweise über
50 Kliniken in Deutschland. Die eine Aktiengesellschaft berät
Patienten bei der Suche nach der richtigen Behandlung, die andere
behandelt die Patienten. Aber die gleichzeitige Tätigkeit in beiden
Aktiengesellschaften hat nichts miteinander zu tun? Es quakt wie eine
Ente und es watschelt wie eine Ente - es soll aber keine Ente
sein?
Nehmen wir doch einmal an, Hermann Trauth hat Recht: Was ist
denn daran so schlimm, dass eine Aktiengesellschaft im Dienste einer
anderen Aktiengesellschaft Kunden (sprich: Patienten) "wirbt"?
Warum sollten leitende Angestellte nicht ihre eigene Firma empfehlen,
wenn sie gefragt werden? Nichts, wenn es sich um ein Produkt handelt,
dass auf einem freien Markt gehandelt wird. Ein Produkt, das der
Kunde aussucht und danach bezahlt. Er weiß in der Regel, dass die
Versprechungen des Verkäufers eine Werbemaßnahme sind und nimmt
dies in Kauf bzw. relativiert die Empfehlungen. Gesundheit ist aber
keine Limonade, kein frei gehandeltes Produkt. Ein Krankenhaus ist
kein Kaufhaus, in das wir hinein spazieren und uns Leistungen
einkaufen. In der Regel haben wir alle bereits vorher in den
Gesundheitsfond eingezahlt. Wir sind in Vorleistung getreten, ohne zu
wissen, welche Leistungen wir jemals erhalten. Das nennt man
Solidaritätsprinzip. Entsprechend gelten auch nicht die Gesetze des
Marktes: Im Gesundheitswesen haben Werbung, Gewinne und Verbindungen
zwischen Aktiengesellschaften nichts verloren. Ärzte müssen für
ihr Krankenhaus keine Werbung machen, denn die Patienten kommen von
ganz alleine. Ärzte und alle anderen Krankenhausmitarbeiter müssen
die Patienten lediglich gut behandeln, dann kommen sie wieder.
Trotzdem brauchen Patienten manchmal eine zweite Meinung. Die sollte
allerdings von einem unabhängigen Mediziner erfolgen und diesem
keinen weiteren Vorteil einbringen, als einen Patienten gewonnen zu
haben. Für Marburg und Gießen gilt dies übrigens ganz besonders:
Da zwei Uniklinika fusioniert und an eine Aktiengesellschaft verkauft
wurden, haben Patienten im akut kranken Zustand keine Wahl. Sie
können nicht zwischen verschiedenen Anbietern wählen. Es existiert
kein freier Markt. Daher müssen die Patienten geschützt werden und
dürfen nicht nach den Regeln des Marktes geworben, gesteuert und
behandelt werden, sondern nur nach den Regeln ärztlicher
Kunst.
Hintergrund:
Der Marburger Arzt Hermann A. Trauth
kritisierte in der ersten Januarwoche in der Oberhessischen Presse,
dass sich führende Mediziner des Rhön-Uniklinikums Gießen und
Marburg (UKGM) mit anderen Experten in einer Aktiengesellschaft
zusammengeschlossen haben, deren Zweck die Erbringung von Beratungs-
und anderen Dienstleistungen, vorwiegend im Bereich Gesundheitswesen
ist. Am 1 Juni 2011 wurde die JBR Healthcare Group AG von Joseph
Rohrer gegründet. Rohrer war bis Ende Mai 2011 Geschäftsführer des
UKGM. 9 der 14 Experten, die in der JBR Healthcare Group AG
organisiert sind, arbeiten im Angestelltenverhältnis für die Rhön
AG, den Betreiber des UKGM.
Pressemitteilung
vom 08.09.2011:
NotRuf113
sagt Gespräch mit der Leitung des Uniklinikums Gießen und Marburg
(UKGM) ab - Der Rhön-Konzern hält an Klageandrohung gegen Marburger
Ärzte/innen fest und verhindert so einen offenen konstruktiven
Dialog.
Marburg, 8. September 2011. NotRuf113 hat heute ein
geplantes Treffen mit Vertretern des UKGM abgesagt. Die neue
Vorsitzende der UKGM-Geschäftsführung Dr. Irmgard Stippler hatte
Vertreter der Bürgerinitiative zu "einen offenen, fairen,
transparenten und vertrauensvollen Dialog" eingeladen. Ein
Neuanfang sollte gemacht werden und bisherige Konflikte sollten im
Interesse der Patienten überwunden werden. Die Leitung des UKGM bot
an, mit zwei niedergelassenen Ärztinnen die Kritik an der Behandlung
von Patienten im Klinikum zu besprechen. Gleichzeitig behielt sich
die Rhön AG vor, genau diese Ärztinnen zu verklagen, falls sie aus
Sicht des Konzerns mit ihrer Kritik falsche Behauptungen aufstellen.
Weiter lehnte Fr. Dr. Stippler ab, dass Journalisten der
Oberhessischen Presse und der Frankfurter Rundschau an dem Gespräch
teilnehmen, da die Persönlichkeitsrechte von Patienten geschützt
werden müssten und man sich lieber "von Arzt zu Arzt"
unterhalten wolle. Gleichzeitig benannte die Leitung der UKGM zwei
nicht-ärztliche Mitglieder der eigenen Presseabteilung als
Teilnehmer für das Gespräch. Da unter diesen Bedingungen ein
offener, fairer und transparenter Dialog nicht möglich erschien,
sagte NotRuf113 das Gespräch ab. Hoffnung, dass der Dialog
fortgesetzt wird, besteht indes noch: Fr. Dr. Stippler äußerte nach
der Absage des für heute geplanten Gespräches in einer
Presseerklärung, "dass die drei
Unterlassungsverpflichtungserklärungen gegen jeweils eine konkrete
Aussage von Dr. Ulrike Kretschmann, Dr. Susanne Deuker und Dr.
Hermann Trauth ruhen und die Anwälte des UKGM keine weiteren
Maßnahmen eingeleitet haben."
Pressemitteilung
von Notruf113 aus dem Januar 2011:
Täter,
Opfer, cash cows und Rhön
Eugen Münch, Gründer, größter
Aktionär und Aufsichtsratsvorsitzender der Rhön-Klinikum AG, ist
ein Mann klarer Worte. Seinen Vortrag "Veränderungen sind
angesagt" gehalten auf einer Tagung zu den "Swiss-DRGs"
in Zürich am 22.01. 2009, in dem er seine Konzepte für ein
Eindringen seines Konzerns in den ambulanten Bereich erläutert,
beschließt er mit den markigen Worten "Wenn es schon sein muss,
dann ist die Täterrolle doch die attraktivere als die Opferrolle".
Einige niedergelassene Kollegen haben die Zeichen der Zeit noch nicht
erkannt und freuen sich noch darüber, wenn sie bei den Empfängen
des privatisierten Universitäts-Klinikums Marburg-Gießen vom
Management nicht expressiv verbis mit "na Du Opfer"
begrüßt, sondern mit Beschwichtigungsformeln, einem Glas Sekt oder
einem gemeinsamen Foto für die Presse und einer Urkunde eingelullt
werden.
Seit 2003 hat die Politik eine deutliche Liberalisierung
des Gesundheitswesens betrieben. Für den ambulanten Sektor bedeutete
dies vor allem die Erlaubnis zur Bildung überörtlicher
Gemeinschaftspraxen und Medizinischer Versorgungszentren (MVZ). Ein
MVZ kann als rein ambulante Einrichtung als Ärztehaus/Poliklinikum
betrieben werden, zum anderen können Krankenhäuser selbst MVZs
gründen und betreiben. In der Realität sind MVZs aber nicht
vorwiegend Gemeinschaftspraxen von freien Ärzten verschiedener
Fachrichtungen, sondern größere wirtschaftliche Einheiten, in denen
Ärzte als Angestellte tätig sind. Die Liberalisierung des
Gesundheitsmarktes hat nicht zu einem stärkeren Wettbewerb vieler
Marktteilnehmer geführt, sondern zur Bildung von
Gesundheitskonzernen, die als Kapitalgesellschaften vor allem dem
shareholder value, nicht aber dem Gemeinwohl verpflichtet sind.
Wer
aber glaubt, der Ehrgeiz der Konzerne sei in erster Linie darauf
ausgerichtet, die ambulante Betreuung von Depressiven, Diabetiker-
und Asthmakindern zu übernehmen, irrt. Es geht vielmehr darum, die
Rosinen des ambulanten Sektors in die MVZs der Kliniken zu ziehen.
"Rosine" würde ein Manager eines Health Providers einen
lukrativen Patienten allerdings nie nennen; es handelt sich
treffender ausgedrückt um "cash cows".
Konkret: In
Marburg und Gießen wurden die Universitätskliniken zusammengelegt
und Anfang 2006 an die Rhön Klinikum AG verkauft. An den Unikliniken
gab es immer schon Institutionsambulanzen, deren Leistungen wir
Niedergelassenen oft sehr zu schätzen wussten. Wurden hier doch
häufig kompliziertere Fälle durch ausgewiesene Spezialisten
beurteilt und behandelt. Dies diente vor allem zu Ausbildungszwecken
der Universität und beschränkte sich ausdrücklich auf Leistungen,
die von den Niedergelassenen so nicht erbracht werden konnten.
Seit
der Privatisierung hat sich meiner Beobachtung nach, als zuweisende
Hausärztin , die Qualität der Versorgung sowohl im ambulanten wie
im stationären Bereich der Unikliniken verschlechtert. Es hat sich
eine Drehtürmedizin etabliert, die insbesondere die komplizierten,
nicht standardisierbaren Patienten nicht mehr so behandelt, wie wir
dies an Universitäten gewohnt waren. Dies ist keineswegs Zufall,
sondern durchdachtes Konzept, mit dem Ziel der Gewinnmaximierung.
Es
geht Rhön darum, lukrative standardisierte diagnostische und
therapeutische Prozeduren, die in Marburg gegenwärtig zur vollen
Zufriedenheit der Patienten von niedergelassenen Kollegen
durchgeführt werden, in den Bereich des Konzern zu ziehen, um die
erzielten Gewinne an seine Aktionäre ausschütten zu können. Die
Politik unterstützt dieses Bestreben. Die Extrempauschalisierung des
gültigen EBM ist prädestiniert für konzerneigene MVZs, die mit je
zwei Institutions-Patientenkontakten das Gesamtquartalbudget leeren
können und dann den Patienten ins konzerneigene Krankenhaus
übernehmen, um auch das letzte verfügbare, das stationäre Budget
zu akquirieren. Die Lobby-Arbeit der Rhön-AG ist hervorragend zu
nennen. So ist Karl Lauterbach (MdB SPD) Mitglied des
Rhön-Aufsichtsrates, der Staatssekretär Claus-Theo Schröder ist
ehemaliger Rhön-Beschäftigter und die wirtschaftspolitische
Expertise des frischgebackenen Wirtschaftsministers von und zu
Guttenberg scheint ausschließlich aus seiner Tätigkeit im
Aufsichtsrat der Rhön-AG zu bestehen. Wie wichtig der Rhön-AG die
Expansion in den ambulanten Bereich, ist zeigt eine Personalie, die
die FTD am 4.11.2008 gemeldet hat. Der bisherige Vizechef der
Techniker Krankenkasse, Dr. med. Christoph Straub wurde in den
Rhön-Vorstand geholt. Es hieß dort, Straub kenne sich nicht nur
exzellent bei neuen Versorgungsmodellen aus, er soll für den Konzern
den ambulanten Markt erschließen.
Münch analysiert wie folgt:
"Einer Universitätsklinik gelingt es, die Kalkulation einer
Krebsbehandlung doppelt so teuer zu halten, als sie eigentlich sein
könnte. Mit dieser Behandlung subventioniert sie sich einige
Schutzräume für Mitarbeiter oder Professoren, an die sich keiner
heran traut. Was wird zukünftig geschehen? - Eine Praxisgemeinschaft
bietet diese Leistung an, sie hat die Gewinnspanne, die ja nichts als
eine Art Artenschutzzuschlag ist, frei und wird diese teilweise in
Service und teilweise zu eigenen Nutzen einsetzen und Patienten aus
dem Cash-Kuh-Segment abzuziehen. Danach sitzt die Uniklinik immer
noch auf ihren geschützten Arten, nur die kostendeckenden Patienten
fehlen."
Der verächtlich gemachte "Artenschutz"
ist natürlich der Schutz für den Patienten mit einer seltenen
Tumorart, oder allgemeiner gesagt, für den Patienten mit einer
seltenen, komplizierten Erkrankung. Diese Patienten sind natürlich
besser aufgehoben in einem Krankenhaus der Maximalversorgung, wo die
dort beschäftigten Spezialisten Fälle aus einem überregionalen
Einzugsgebiet sehen und behandeln. Gerade das will Rhön nicht. So
ist seit der Privatisierung unter anderem auch ein Herzchirurg
/Gießen gegangen, weil er massenhaft Bypässe legen sollte, und
weniger die komplexen und zeitintensiven Herz-Ops, am Standort
Marburg passte eine hochdifferenzierte Hirnchirurgie, statt der Cash
Cows Bandscheibe, ebensowenig ins Konzept. Ein Dilemma, das sich
durch den Ruf des international renommierten Neurochirurgen in die
Schweiz lösen ließ. Münch beschreibt das zukünftige
Gesundheitssystem als eins, dass "weniger den ärztlichen
Künstler als den schnellen präzisen Könner, der das tut, was er
kann, dieses aber möglichst häufig" erfordert. Und weiter "Für
Sie als Patient ist die nach den Regeln der Kunst geschlossene Naht
wohl auch wichtiger als eine künstlerische Bördelung". Hier
werden medizinische Spezialisten verächtlich gemacht, dass es nicht
wundert, dass er immer schwieriger wird, in für Marburg und Gießen
eine Professorenschaft auf angemessenen Niveau zu gewinnen, bzw. zu
halten.
Die Rhön-Klinikum AG ist dafür bekannt, eine Region
durch ihre Krankenhäuser zu dominieren, wie es jetzt mit den
Unikliniken in Mittelhessen der Fall ist, und die Vollbetreuung auch
im ambulanten und stationären Bereich besonders intensiv
anzusteuern. Der höchste Gewinn lässt sich doch durch ein
horizontales und vertikales Monopol erzielen. Die Kollegen von
Ärztenetz Untermain, wo Rhön die zwei lokale Krankenhäuser
aufgekauft hat, in denen große Flächen für MVZs bereit gestellt
wurden, haben diese Strategie erkannt und versuchen eine
Gegenstrategie zu entwickeln. In der Marburger Ärzteschaft scheint
das Problembewusstsein noch wenig ausgeprägt, vielleicht vor dem
Hintergrund einer jahrzehntelangen guten Erfahrung mit den
Institutsambulanzen der Uniklinik. Profitieren werden von der
Entwicklung nur die Kollegen, die genügend Aktien der Rhön-Klinikum
AG halten und sich mehr mit Coupon-Schneiden als mit der Behandlung
von Patienten nähren. Alle anderen fordere ich dazu auf, sich über
Gegenstrategien Gedanken zu machen.